Der Wähler


25. April 2013

 

Harriet Modler

Wer beginnt sich in die Welt des Wählers zu denken,

wird unweigerlich in einem Meer von Irritationen versinken.

Mit Vernunft und Logik kann der Mensch viel erklären,

aber wie kann er sich gegen intrigante Manipulation wehren?

 

Der Bürger hält Wahlprogramme für ein Gesetz,

das nicht wird von den Initiatoren verletzt.

Er vertraut dem Wort,

die analoge Tat findet später keinen Ort!

 

Antworten sucht der Wähler

auf seine individuellen Fragen.

Durch demokratische Wahlen kann er seit 95 Jahren

erfahren,

dass diese Entscheide teuflische Gefahren offenbaren.

Auch Hitler wurde einst gewählt,

weil abtrünnige Propaganda die Massen fügsam quält.

 

Warum begehen Menschen systematisch und gezielt

immer wieder grundsätzliche Fehler — als Wähler?

 

Wir implizieren Mandatsträgern tatsächlich Kompetenzen,

mit Gehorsam ›gestalten‹ wir die eigenen Grenzen.

Disziplin ist auch parteiintern das Gebot in jeder Stunde,

nur Dompteure erlauben Kunde aus ›berufenem‹ Munde.

 

Gebetsmühlenartig werden Phrasen auswendig gelernt,

klare Inhalte und konkrete Absichten sind Meilen entfernt.

Kleine Geschenke werden an das Volk verteilt,

damit es zu gegebener Zeit an die Urne eilt.

 

Um nach der Wahl zu erfahren,

dass Programme nur Attrappen waren.

Großzügig wird Steuergeld verschwendet,

das im Sumpf des Verteidigungsministeriums endet.

Selten sind sich Politikerscharen über Konsequenzen im Klaren,

diese werden von der Allgemeinheit getragen,

die staunt über Gier und Geltungsdrang,

weil Reformen scheitern am daunenweichen Fraktionszwang.

Verführerisch ist dieser monotone Klang,

so halten sie sich auf der (Wahl)Liste ein Leben lang.

Ihr Status spendet Wichtigkeit und Medienpräsenz,

ist von Starallüren verblendet.

 

Es ist die Zeit der Portraits und Kampfansagen,

sie verschandeln das Stadtbild,

geben keine Antwort auf die Fragen,

nur der Kampf um Stimmen zählt.

Den Rest erzählt die BILD,

auch die wird gewohnheitsbedingt ›gewählt‹.

 

Niemand hat bisher den Wahlkampf als Begrifflichkeit moniert,

die Menschen sind auf das Kämpfen fixiert —

so formen sich überall ›Arenen‹,

Menschen werden zu Schizophrenen,

desillusioniert in den alltäglichen Krieg entlassen:

die in Fußballstadien passen,

oder sich schämend an die Tafel begeben,

oder auf Autobahnen ihren Wahn ausleben,

oder sich mobbend ihren Arbeitsplatz erhalten,

oder cybermäßig die virtuelle Welt übernehmen,

oder den Wettstreit um das beste Smart-Phone auszuweiten,

oder um mit Tabletten und Drogen den Stress auszuhalten,

oder sich an Börsen final ausschlachten:

Die Gegner sind allseits zu verachten!

 

Kampf symbolisiert unbeschränkt Brutalität, oftmals Krieg,

das Ziel ist der Sieg,

der Gegner wird (demokratisch!) eliminiert, kaltgestellt, aussortiert.

Menschen gegen Menschen, die sich idealisiert bekämpfen —

das demokratische Sieb kategorisiert 

die Verlierer und organisiert damit Klassen,

die anfangen zu hassen.

 

Kampf-Computer-Spiele sind als Kulturgut anerkannt,

so bleibt der Kampf gesellschaftlich zwingend relevant — 

dem Leben wird ein Schlachtfeld gegeben.

 

Die Show wird täglich aufgefrischt inszeniert,

die Rivalität hat immer Priorität.

Es ist angerichtet,

die Zensur ist salonfähig, wird nicht attackiert,

über ein paar Prozente wird spekuliert.

Täuscht uns die stagnierende vorgesäuselte Stabilität?

Das Wahlkampfthema 2013 wurde von einem Sportidol initiiert — 

der war auf maximale Verwertung seiner Erträge justiert.

Die CD als Handelsware hat er unterschätzt,

wer hat wohl die Messer hinter seinem Rücken gewetzt?

Eine Nation stürzt (über) ihren Sohn.

Einst wurden kapitale Sünder auf dem Marktplatz gerichtet.

 

Dieser Platz dem Rummel und wortgeschmeidigen Reden heute dient,

der Wähler hat sich Transparenz noch nicht verdient,

60 Prozent Beteiligung halten das System.

Die Regierung schaut problemlos nieder,

trotz Krisen und Werteverfall,

spiegelt die Politik mit verbalem und realem Müll

repräsentativ

ihr Wahlvolk wider.

 

Das zeigt sich gelegentlich demonstrativ,

in tarifgebunden Streiks stellt es sich geschult auf in Reihen,

will sich von Niedriglöhnen befreien,

die Lektion aber hat es noch nicht gelernt,

weil es ist von Bildung weit entfernt,

doch braucht es lernen nur

die gierige Verbraucherkultur!

 

Auf den Börsen beschwören Vampire ihre Weihen —

exorbitant steigen Renditen, Zinsen und Anleihen.

 

Wir Untertanen sind primitiv und bieder,

bücken uns vor mächtig viel Gefieder.

Unser Schicksal legen wir in korrupte Hände,

löschen keine Brände.

 

Lassen Menschen wie Sklaven arbeiten,

wodurch Industriekapitäne hoch zu Ross reiten.

Im globalen Weltgeschehen

gibt es kein Versehen!

 

Tucholsky wird dieser Gedanke zugeschrieben:

„Wenn Wahlen etwas ändern würden,

wären sie verboten.“

Demokratie wird nicht gelebt,

nur weil sich ein Wahlberechtigter zur Wahl begibt.

Der homo sapiens wird seit seinen frühen Zeiten getrieben — 

wäre er doch Mensch geblieben.